Der armenisch-aserbaidschanische Kampf um Berg-Karabach gilt zurzeit als der gefährlichste Destabilisierungsfaktor im Südkaukasus. Auch wenn die Politiker beider Seite immer wieder von einer „friedlichen Lösung des Konflikts“ sprechen – gerade an dieser Bruchstelle ist ein Kriegsausbuch jederzeit denkbar. Allein die Mitgliedschaft Armeniens in der Organisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit (OVKS) verhindert bislang, dass aus dem „eingefroren“ Krieg um Berg- Karabach ein „heißer“ wird. Denn der OVKS sichert der Kaukasusrepublik im Falle eines Angriffes von Drittstaaten die militärische Unterstützung Russlands zu. Dessen ungeachtet stellen sich viele Menschen in Armenien die Frage, ob ihnen Moskau tatsächlich militärischen Beistand leisten wird. Schließlich engagiert sich Russland in Aserbaidschan wegen der umfangreichen Öl- und Gasvorkommen.
Beim Streit um den Status von Berg- Karabach und dessen Sezessionsrecht betonen die politisch Verantwortlichen in Armenien, die Enklave sei niemals Teil der unabhängigen Republik Aserbaidschan gewesen. Aus armenischer Sicht entstanden als Folge des Zerfalls der UdSSR auf dem Territorium der ehemaligen Aserbaidschanischen SSR zwei unabhängige Staaten: die Republik Berg-Karabach und die Republik Aserbaidschan. Auch der frühere Direktor des Instituts für Ostrecht der Universität Köln, Professor Georg Brunner, teilt diese Auffassung. Im Falle Berg-Karabachs würden die Gründe überwiegen, „die für die Priorität des vom armenischen Volk im Sinne der Sezession und Vereinigung ausgeübten Selbstbestimmungsrechts gegenüber dem aserbaidschanischen Souveränitäts-anspruch sprechen“. Allerdings wurde die „Republik Berg- Karabach“ bis heute von keinem anderen Staat der Welt anerkannt. Selbst Armenien verzichtete darauf, obwohl seine Armee die Unabhängigkeit und Sicherheit der Enklave garantiert. Daneben ließen Russland, die USA und Frankreich keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie die „territoriale Integrität Aserbaidschans anerkennen“, die Unabhängigkeit von Berg- Karabach jedoch nicht. In den letzten zwanzig Jahren nach dem Beginn des Karabach-Konfliktes haben sich die Positionen der Konfliktparteien nicht geändert: Aserbaidschan fordert „die Beendigung der armenischen Aggression und die Befreiung der besetzten Gebieten“.
Um seinem Willen Nachdruck zu verleihen, droht Baku Armenien regelmäßig mit einem Militärangriff. Die dazu nötigen Waffenkäufe kann sich das ressourcenreiche Land leisten. Umgekehrt macht Eriwan immer wieder klar, dass es sich für die Sicherheit der Karabach- Armenier einsetzen und sie notfalls auch militärisch unterstützen werde. Da wiegt es umso schwerer, dass Russland zwar Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkennt, den gleichen Schritt gegenüber Berg-Karabach aber ablehnt: Schließlich will Moskau den Konflikt auch in Zukunft als Druckmittel gegen Aserbaidschan und Armenien benutzen können, um Bakus Annäherung an die NATO zu verhindern und Armenien in der militärischen Union OVKS zu halten. Ohne internationale militärische Sicherheitsgarantien wird Armenien die in Folge des Krieges besetzten aserbaidschanischen Gebiete um Berg-Karabach nicht aufgeben. Zuvor müsste sich Aserbaidschan jedoch verpflichten, in den Grenzgebieten zu Berg-Karabach keine Truppen zu stationieren. Das Recht auf Selbstbestimmung und eine sichere Landverbindung zwischen der Republik Armenien und Berg-Karabach sind weitere Bedingungen Eriwans, bevor es bereit ist, Verhandlungen über die besetzten Gebiete aufzunehmen. Erst danach kann aus armenischer Sicht über den künftigen politischen Status der Enklave gesprochen werden.
Demgegenüber fordert die OSZE ein Rückkehrrecht für die aserbaidschanischen Flüchtlinge und die Durchführung eines Referendums in Berg-Karabach. Umgekehrt verlangt Aserbaidschan die Wiederherstellung seiner „territorialen Integrität“ in den Grenzen der früheren Sowjetunion und den „unverzüglichen, vollständigen und bedingungslosen Abzug aller armenischen Truppen aus allen besetzten Territorien der Republik Aserbaidschan“. Im Gegenzug stellt Präsident Sersch Sargsjan klar, die Republik Armenien werde Arzach, wie die Armenier Berg-Karabach nennen, nicht aufgeben. Arzach habe seinen gegenwärtigen Status auf der Basis der existierenden Gesetze und des Völkerrechtes erkämpft und mit vielen Opfern verteidigt. „Womit unterscheiden wir uns vom Kosovo?“, fragt der Präsident. Er fürchte sich nicht vor dem Ölreichtum Aserbaidschans und seinen Milliarden schweren Militärausgaben.
Quelle:
http://www.if-zeitschrift.de/portal/a/ifz/kcxml/04_Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLNzKP9zVyBMlB2IZ--pFw0aCUVH1vfV-P_NxU_QD9gtyIckdHRUUAfsu7ZA!!/delta/base64xml/L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLzZfMjdfTTMw?yw_contentURL=%2F01DB131200000001%2FW28CYF9Q625INFODE%2Fcontent.jsp